Zeitzer Machtmahl

Künstlerische Inszenierung im öffentlichen Raum

Leon Gensler, Nele Hero, Pascal Ulrich

Auf dem Marktplatz, vor dem Rathaus der Stadt Zeitz haben wir unter unserem Seminar-Thema „Insignien der Macht“ ein teilweise inszeniertes Dinner-Erlebnis für die Bürger:innen der Stadt konzipiert.

Einerseits wurden im Vorfeld Personen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen gezielt eingeladen. Andererseits wurde die Einladung zum Event über Social Media öffentlich verbreitet.

Der Esstisch, Schauplatz einer Vielzahl von Zusammenkünften, trägt eine metaphorische Bedeutung, die über seine physische Funktion hinausgeht. Ob beim familiären Abendessen, einem festlichen Bankett oder einem geschäftlichen Treffen, der Esstisch wird zum Symbol für die Dynamiken, Beziehungen und Machtstrukturen, die in solchen Situationen zum Ausdruck kommen.

Spielregeln des Dinners:

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einer exquisiten, langen Tafel. Auf den ersten Blick sehen Sie ein prächtiges Gedeck mit Torten, Kerzenleuchtern, goldenem Besteck und Kristallkaraffen. Doch je weiter Ihr Blick über den Tisch wandert, desto mehr wird Ihnen bewusst, dass Opulenz und Überfluss mit jedem Meter der Tafel abnehmen.

Am unteren Ende des Tisches sind nur noch Pappbesteck, Pappteller, einfache Würstchen und Orangenlimonade zu finden.

In bewusst übertriebener Weise wurde der Tisch gedeckt und zu einem kostenlosen Abendessen eingeladen. Im Vorfeld wurden Mitspieler*innen (Studierende) bestimmte gesellschaftliche Rollen zugewiesen.

Durch die verteilten Rollen haben wir den Gästen die Dissonanz zwischen dem vorderen, mittleren und hinteren Teil des Tisches nähergebracht. Ohne dass sie es merkten, sind sie zu Teilnehmern einer Aufführung (des Machtspiels) geworden.

In unseren Einladungen haben wir die Gäste darauf hingewiesen, dass es sehr von Vorteil wäre, zum Essen einen Hut zu tragen. Der Hut diente in unserem Spiel als Metapher für verschiedene Machtpositionen (Wer hat den Hut auf?). Gäste, die mit einer Mütze oder ganz ohne Kopfbedeckung kamen, wurden dem hinteren Teil des Tisches zugewiesen. Gäste mit extravaganteren Hüten wurden beim Eintreten in den oberen, opulenten Teil der Tafel gesetzt.

Dank der von uns zugewiesenen Rollen war es den Gästen jedoch möglich, ihre Position am Tisch zu verändern. Durch Austausch, Verhandlungen und Anpassung an das Hutsystem konnten sie in der Hierarchie der Tafel aufsteigen.

Rollenbeschreibung:

Empfänger:innen:

Sie sind dafür verantwortlich, die Gäste am Empfang zu begrüßen und sie an ihre Plätze zu geleiten. Sie achten auf die Hüte und teilen sie je nach Kopfbedeckung in die bestimmten Sitzkategorien ein. 



Gönner:innen:

Ihre Aufgabe ist es, ganz gönnerhaft während des Dinners ihre eigenen Hüte an Leute zu verteilen, mit der Intention, den Gästen ohne Hut eine Chance zu geben, an der Tafel gesellschaftlich aufzusteigen.



Dealer:innen:

Sie sind dafür verantwortlich Hüte an Gäste zu vermitteln, um sie in ihrem Status beim Machtmahl zu heben. Im Gegenzug dafür dürfen sie etwas einfordern.

Kellner:innen:

Sie sind für das Kellnern, Abräumen und Ausschenken verantwortlich. Die schauspielerische Leistung ist eher zurückhaltend, aber wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird, können sie die Machtspiele anfeuern.

Rebell:innen:

Sie lehnen sich gegen die Struktur des Hutsystems auf. Mit Anspielungen, versuchen sie das Machtspiel zwischen den Gästen zu schüren.

Systemtreue Teilnehmer:innen:

Sie sind die Personen, die sich damit abfinden, dass sie ohne Hut einen schlechteren Platz am Tisch zugewiesen bekommen.

Dekadente Teilnehmer:innen:

Mit ihren extravaganten Hüten genießen sie den Luxus des Hutsystems. Sie fühlen sich ausgesprochen wohl, genießen das gute Essen und zeigen provozierend lautstark ihre (Macht)Positionen und ihren Luxus.

Fazit:

Das Experiment ließ sich über den Zeitraum von ca zwei Stunden aufrecht erhalten. Die eingeladenen Gäste reagierten sehr verschieden auf die Positionierungen am Tisch.

Die Inszenierung entwickelte sich zu einem Spiegelbild unserer sozialen gesellschaftlichen Strukturen. Verharrten manche Personen systemimmanent an den ihnen zugewiesenen unteren Plätzen an der Tafel, so trauten sich andere aus dem mittleren Segment auch an die oberen opulenten Tafelplätze heran. Die Inszenierung erweckte bei allen Teilnehmer*innen entsprechend ihrer Rolle authentische Emotionen.

Die Erkenntnis der Möglichkeit der Selbstermächtigung ist durch die Inszenierung für alle Beteiligten deutlich geworden.

Teilnehmer:innen-Liste:

Christian Thieme (Oberbürgermeister, Zeitz)

Kloster Posa (Nina Rüb, Katharina Geißler, Ina Tuscher)

Philipp Baumgarten (PR und Ausstellungsmitorganisator)

Henriette Sauerbier (Neues Theater, Zeitz)

Jörg Amsler (Atelierhaus, unsere Unterkunft / Ausstellung – und Arbeitsraum, Zeitz)

Jens Staate (Beamter, Sachgebiet Sicherheit und Ordnung der Stadt Zeitz)

Alf Hartmann (Michaeliskirche)

Sven Weissbrot (Wohnungsbaugenossenschaft – WBG)

Anke Wagner (Kooperative Künstlerkolletiv Takt–Zeitz, Berlin)

Mitarbeiter*innen Touristeninformationsstelle

Bürger der Stadt Zeitz in Kooperation mit den Studierenden

Andreas Mahnke (Leiter Alte Nudelfabrik – Atelierhaus Zeitz)

Rainer Hartl (Alte Nudelfabrik – Atelierhaus Zeitz)

Thomas Schnell

Ute Schnell

Kristin Mascheck

Gabriele May

Frau Brohn

Studierende

Antonia Alfs

Darleen Arens

Anna Daschkewitz

Leon Gensler

Nele Hero

Leonie Kohlenbach

Florian Neuhaus

Magda Rainauli

Noelle Thyrann

Nico Viereck

Thilo Hellen

Marie Nieddu

Julia Orlik

Lehrende

Prof. Nora Fuchs

Prof. Ulrike Brückner

sonstige Zeitzer Bewohner:innen

Die Einladung zum Dinner-Event wurde öffentlich ausgesprochen (Social Media, Zeitz-Online, Flyer, Poster für alle Zeitzer Einwohner). Insgesamt kamen zum Essen ca 45-55 Leute, die wir nicht alle persönlich kannten.

Exkursion OPEN SPACE ZEITZ / Seminar: „Insignien der Macht“ / Dozierende: Prof. Ulrike Brückner, Prof. Nora Fuchs / Gruppenprojekt: Objekt- und Raumdesign, Kommunikationsdesign / Fotografie: Philipp Blumengarten, Nora Fuchs / Text: Autor:innen